Presse: Tiroler Tageszeitung
Von der "Kunst der Biegsamkeit"
19. September 2024
Mit der Graphic Novel „Das Mühlrad“ legt das Tiroler Brüderpaar Michael und Otto-Walter Ebenbichler eine Pandemie-Aufarbeitung der ganz anderen Art vor: Bekannte Situationen und Personen aus der Coronazeit wurden ins mittelalterliche, von der Pest bedrohte Hall verlegt. Die aufwendig gestaltete Satire verblüfft mit historischen Parallelen.
Mils, Hall – Über die Corona-Pandemie, das prägende Ereignis der jüngsten Vergangenheit, wurde schon sehr viel gesagt und geschrieben – aber noch nicht in dieser Form: Das Tiroler Brüderpaar Michael und Otto-Walter Ebenbichler legt mit „Das Mühlrad“ eine außergewöhnliche alpenländische Graphic Novel vor, deren allgemein gültige Botschaft über eine satirische Aufarbeitung der Corona-Pandemie hinausgeht.
Die Brüder, bekannt als umtriebige Unternehmer in Mils, aber auch als Autoren, Filme- und Musiktheatermacher sowie Verfasser des Buches „Tiroler Salz“, haben für ihren Comic mit literarischem Anspruch einen besonderen Kunstgriff gewählt: Das Geschehen wird ins spätmittelalterliche Hall in Tirol
verlegt, bekannte Situationen und Personen aus der Coronakrise quasi auf Zeitreise geschickt.
Politiker lieferten „mächtige Gags“
Am historischen Schauplatz Hall tummelt sich sehr heutiges (Polit-)Personal.
© ALPENcomic
„Es wurde irgendwann einfach ein Anliegen, auf die Pandemie und die oft abstrusen politischen Entscheidungen zu reagieren“, erzählt Michael Ebenbichler. Und dem Wahnsinn der Welt begegne man am besten „mit Spott und Hohn und hoffentlich scharfsinnigem Humor“, meint Otto: „Wenn es gelingt, über das Üble im Leben zu lachen, hat man schon viel erreicht.“ Wobei man hier die Fantasie gar nicht weit schweifen lassen musste: „Was viele Leute in dieser Zeit von sich gaben, das waren so mächtige Gags“, lacht Otto, der schon mehrere Theaterstücke geschrieben hat. Unter Verwendung diverser Originalzitate („Wir konnten gar nicht alle verwenden“) fasste er die Geschehnisse zu einem „sarkastischen kleinen Kabinettstück“ zusammen. Bruder Michael, der in der Vergangenheit immer wieder politische Cartoons verfasst hat, legte derweil bereits bildliche Charakterstudien der handelnden Personen an. So entwickelten die beiden in einer Art „Ping-Pong-Prozess“ aus dem Theaterstück den aufwendig gestalteten Comic.
Von der Pestepidemie bis nach Ischgl
Zur Recherche studierten die Brüder nicht nur klassische Pandemie-Literatur wie Albert Camus‘ „Die Pest“, sondern vor allem auch die Lokalgeschichte – und spürten dabei vielerlei Parallelen auf: So sei zu Zeiten Sigmund des Münzreichen (Ende des 15. Jahrhunderts) ein großer Markt in der europaweit bedeutenden Handelsstadt Hall trotz der (wieder einmal) herannahenden Pest auf Druck der lokalen Wirtschaft doch nicht abgesagt worden – die Angst vor wirtschaftlichen Verlusten war offenbar größer als jene vor der Pestilenz. Die Ebenbichlers fühlten sich da sofort an das sehr zögerliche „Dichtmachen“ der Tourismushochburg Ischgl zu Beginn der Coronakrise erinnert …
Eine Seuche, die sich ihren Weg bahnt, Politiker, die nicht fähig sind, das nahende Unheil zu verhindern, mahnende Stimmen, die nicht gehört werden, Geld und Gier als Triebfedern: Offenbar gebe es Verhaltensmuster, die in der Menschheitsgeschichte immer wiederkehren, sind sich die Autoren einig. Das titelgebende „Mühlrad“, das sich stets im Kreis dreht, steht genau dafür: für die Wiederkehr der immer gleichen Fehler.
Im Comic sind daher diverse ehemalige und aktuelle Landes- und BundespolitikerInnen, Wirtschafts- und Tourismusfunktionäre gebührend bissig und frech als sorglose bis zynische Landesfürsten, Bürgermeister, Stadtkämmerer und Geistliche zu erleben.
Von der „Kunst der Biegsamkeit“
Diese Rollenfindung sei besonders spaßig gewesen, meint Otto Ebenbichler: So wird ein ehemaliger Gesundheitslandesrat hier zum Haller Stadtarzt, der erklärt, dass es im Leben zuweilen auch „die Kunst der Biegsamkeit“ brauche: „Wichtig ist nur, dass man am Ende sagen kann: Ich habe alles richtig gemacht.“ Ein ehemaliger Bundeskanzler hält als Vikar eine Predigt ans Volk („Jeder wird nun bald jemanden kennen, den der Her zu sich gerufen hat“), nimmt es mit der Moral aber ansonsten nicht so genau. Sie und viele andere bekommen, völlig überparteilich, ihr Fett ab.
Die drei Hauptcharaktere des Buches, ein Badhausbesitzer und ein Müllermeister (bewusst Hinz und Kunz genannt) sowie die Hebamme Hanni stehen hingegen für die Bevölkerung. Die Figur der Hebamme verweist dabei auf jene Menschen, die in Gesundheits- und Sozialberufen während der Pandemie die Hauptlast trugen. „Sie waren solidarisch ohne Ende“, meint Otto Ebenbichler, gedankt habe man es ihnen wenig, später wurden sie sogar teils angefeindet.
Der Schwarze Tod in Hall: In handgezeichneten, teils sehr aufwendig gestalteten Bildern finden sich viele lokale Details, von der Münzergasse mit dem Münzerturm (l.) bis zum historischen Milsertor (r.).
© ALPENcomic
Was den Brüdern (Michael zeichnete den Comic unter seinem Pseudonym „Le Fou“, seinem Bruder verpasste er das deftige Alias „Schweinsbratl“) wichtig ist: Das Buch solle keinesfalls nur als (vielleicht auch etwas späte) „Coronaliteratur“ gelesen werden. Zentral sei die Allegorie des Mühlrades – und die gehe ein gutes Stück über Corona hinaus: „Statt Corona könnte man in die Grundmetapher etwa auch die Finanz- und Zinspolitik einsetzen.“ Aber: Das Ganze solle nicht oberlehrerhaft wirken, „der Spaß für die Leser ist entscheidend“.
Handgezeichnet über eineinhalb Jahre
Vom Haller Rathaus aus verkündet der „Landesfürst“ eher widerwillig die pandemische Botschaft.
© ALPENcomic
Während sich das Theaterstück laut Otto „quasi von selbst“ schrieb, war Michael mit der zeichnerischen Umsetzung rund eineinhalb Jahre beschäftigt: Alles ist „handmade“, mit Bleistift, Tusche und Radiergummi gefertigt, nur die Kolorierung erfolgte am Computer. Den gewaltigen Aufwand sieht man der professionell gestalteten Graphic Novel in jedem Bild an – gerade den großformatigen Tableaus mit vielen Details und reizvollen lokalen Schauplätzen vom Haller Rathaus bis zur Schweighoferstiege. Auch für das titelgebende Mühlrad gab es ein historisches Vorbild, sogar direkt vor der Haustür in Mils: Unweit des Büro-Standorts der Ebenbichlers am Mühlenweg drehte sich einst ein Mühlrad am Bach.
Soll das Theaterstück, auf dem der Comic basiert, auch einmal zur Aufführung kommen? „Es wäre schon ein aufgelegter Elfmeter, das Ganze zwischen den originalen Altstadtecken und historischen Mauern von Hall aufzuführen“, meint Otto. Jetzt sind die Brüder aber erst einmal sehr gespannt, wie das Buch ankommt. Vom Großmeister der politischen Karikatur, Gerhard Haderer, dem die beiden ein Vorabexemplar schickten, habe es schon Lob gegeben.
Zum Buch
Erhältlich ist „Das Mühlrad“ im lokalen Buchhandel (etwa bei Riepenhausen in Hall oder der Wagner‘schen in Innsbruck) sowie direkt über die Website www.alpencomic.com